Castrop-Rauxel

Anschlagsplan: Fehlte nur eine Zutat für tödliches Gift?

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Verbirgt sein Gesicht hinter einem Aktendeckel: Der Angeklagte aus Castrop-Rauxel mit seinem Anwalt.

Verbirgt sein Gesicht hinter einem Aktendeckel: Der Angeklagte aus Castrop-Rauxel mit seinem Anwalt.

Foto: Bernd Thissen / dpa

Dortmund/Castrop-Rauxel.  In Dortmund hat der Prozess um einen geplanten Anschlag mit einer chemischen Bombe begonnen. Fehlte nur eine Zutat zur Herstellung von Rizin?

Jalal J. trägt Sweater, Jeans und Sneaker und hält sich einen Aktendeckel vor sein Gesicht, als er aus der Untersuchungshaft in den Saal 130 des Dortmunder Landgerichts geführt wird. Fotoapparate klicken und Kameras summen, bis der Vorsitzende Richter das Verfahren gegen ihn eröffnet. Die Vorwürfe gegen den 26-Jährigen sind schwerwiegend: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat mit biologisch-chemischen Giftstoffen und Terrorismusfinanzierung. Aber wie groß war die Gefahr zum Jahreswechsel 2022/2023 tatsächlich?

Es geht um Rizin und Cyanid

J. selbst sagt dazu bisher nichts. „Wir werden zum jetzigen Zeitpunkt weder zur Sache noch zur Person eine Einlassung abgeben“, erklärt sein Verteidiger Marco Ostmeyer. Am ersten Verhandlungstag dreht sich deshalb fast alles um das Handy, von dem die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf glaubt, dass es J. gehört und das die Kräfte des Sondereinsatzkommandos sicher stellten als sie Anfang dieses Jahres eine Wohnung in Castrop-Rauxel stürmten. Es habe neben J. auf dem Sofa gelegen, erzählt eine Kripobeamtin vor Gericht, der junge Mann habe die Kopfhörer in den Ohren gehabt.

In der Wohnung lebt damals Jamals älterer Bruder, dem der Einsatz ursprünglich auch gilt. Von einem befreundeten ausländischen Geheimdienst, den erste Zeugen auch vor Gericht namentlich nicht nennen dürfen, ist ein Tipp an das Bundeskriminalamt raus gegangen. Man habe Unterhaltungen auf diversen Messengerdiensten entdeckt, in denen es um einen Giftanschlag Anschlag in der Silvesternacht mit möglichst vielen Opfern gehe. Wenig später haben die Fahnder auch eine sogenannte IP-Adresse. Sie führt in die Lange Straße 71 im Castrop-Rauxeler Stadtteil Habinghorst

In der Nacht vom 7. auf den 8. Januar schlagen die Einsatzkräfte zu. Ein SEK-Trupp in Spezialanzügen stürmt durch ein großes graues Tor in den ersten Stock, wo die Polizisten eine Holztür aufbrechen. Die Bewohner werden offenbar im Schlaf überrascht und leisten keinen Widerstand. Minuten später werden zwei Personen abgeführt. Nur T-Shirt, Unterhose und Schlappen trägt der eine, Winterjacke über freiem Oberkörper, knielange Sporthose und Sneakers mit offenem Schnürsenkel der andere. der Mann, dem der Einsatz ursprünglich galt.

Vor einem Feuerwehrwagen werden sie mit einer Flüssigkeit besprüht, dann unter strenger Bewachung zu einer Dekontaminationsstraße gebracht, die die Feuerwehr Castrop-Rauxel vor der Wache eingerichtet hat. Wenig später bestätigt die Polizei, was die Einsatzkräfte in den gelben und grauen Schutzanzügen und mit „umluftunabhängigem Atemschutz“ schon haben erahnen lassen. Es geht um Gift, genauer gesagt um Cyanid und Rizin und damit um „biologische Kriegswaffen“.

Angeklagter ist wegen versuchten Moders vorbestraft

Schnell rückt Jamal J. ins Zentrum der Ermittlungen. Während sein Bruder Ende Januar wieder auf freien Fuß gesetzt wird, bleibt er bis heute in Untersuchungshaft. Denn die Beamten haben das Smartphone, das sie gefunden haben, ausgewertet. Und das iPhone erweist sich als wahre Fundgrube. Es enthält nicht nur über 43000 Fotos, unter anderem mit Propaganda des Islamischen Staates, sondern auch die Zugänge zu mehreren Messengerdiensten, auf denen Jamal J. angemeldet und eingeloggt ist. Seine Unterhaltungen dort waren ebenso wenig gelöscht, wie die Nachrichten aus WhatsApp oder der Suchverlauf bei Google.

Danach hat sich der Nutzer dieses Smartphones, laut Anklage Jamal J., mehrfach erkundigt, wie sich die hoch toxischen Gifte Rizin und Cyanid zusammenmischen lassen. Es gibt gespeicherte „Zutatenlisten“ und Hinweise auf einen möglichen Anschlag in der Silvesternacht. Ein Zeitpunkt, der offenbar verschoben werden musste, weil eine letzte benötigte Substanz fehlte. Er habe trotz intensiver Suche in den Baumärkten des Ruhrgebietes nirgendwo Eisenspäne gefunden, heißt es in einer Nachricht an einen der Polizei unbekannten Empfänger. Erst im Internet gibt es das gewünschte Material – Lieferzeitpunkt: Ende der ersten Januarwoche. Zu diesem Zeitpunkt, heißt es in der Anklage, habe J. „aus seiner Sicht dann alle erforderlichen Bestandteile für die Herstellung von Cyanid beisammengehabt“. Es ist der Augenblick, in dem die Polizei zugreift.

J. ist der Polizei bekannt. Mehrfach geriet er betrunken in Streit, immer wieder landete er kurzzeitig in psychiatrischen Kliniken. Vorbestraft ist er auch. Allerdings nicht einschlägig. Anfang 2019 verurteilte ihn das Landgericht Dortmund wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Im Sommer zuvor hatte er einen zehn Kilogramm schweren Ast von einer Brücke auf die A45 fallen lassen und den Wagen einer Frau getroffen, die nur durch Glück körperlich unverletzt blieb. Ein Jahr saß er in Haft, dann in verschiedenen Suchtkliniken, unter anderem auch in Hagen. Seit Herbst 2022 durfte er unbegleitet und auch über Nacht seinen Bruder in Castrop-Rauxel besuchen.

„Kleinstmengen chemischer Substanzen“

Wie weit die Giftherstellung tatsächlich war, bleibt am ersten Verhandlungstag unklar. Bei mehreren Durchsuchungen in der Wohnung und der Garage des Bruders sowie im Heim in Hagen, wurden nur „Kleinstmengen chemischer und biologischer Substanzen“ gefunden, wie NRW Innenminister Herbert Reul anschließend erklärte und selbst die hat J.s Anwalt im Vorfeld mal „im Wesentlichen haushaltsübliche Substanzen“ genannt.

Der Prozess wird fortgesetzt.

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