Berlin. Steigt der Preis, kommen Verbraucher leichter aus ihrem Strom- oder Gasvertrag. Die Zahl der Sonderkündigungen hat sich fast verdoppelt.
Die anhaltend steigenden Preise bei den Energieanbietern lassen sich immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher neuen Zahlen zufolge nicht mehr gefallen. So hat sich die Zahl der Sonderkündigungen von Strom- und Gasverträgen im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr mit einem Plus von 82 Prozent nahezu verdoppelt.
Zugleich erhalten Kundinnen und Kunden ihre Kündigungsbestätigung vom Energieversorger in mehr als jedem zehnten Fall nicht innerhalb der vorgegebenen Frist zugestellt – was den Wechsel zum neuen Anbieter verzögern kann. Das ergab eine Analyse des Verbraucherportals Aboalarm, die unserer Redaktion vorliegt.
Strom- und Gasanbieter: Zahl der Kündigungen steigt
Über alle Arten von Kündigungen hinweg ermittelte das Portal zwischen Januar und März gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg von gut einem Drittel (34 Prozent) bei den Strom- und Gasverträgen. Ein Grund für die Kündigungswelle ist laut Aboalarm die derzeitige Preisgestaltung bei den Tarifen: Zum einen erhöhten zahlreiche Energieversorger die Preise für Bestandskunden. Parallel dazu würden die Anbieter inzwischen wieder mit günstigeren Strom- und Gastarifen um Neukunden werben.
Die Neukundentarife liegen in vielen Fällen preislich unter den vom Staat festgelegten Preisbremsen für Strom (40 Cent pro Kilowattstunde) und Gas (12 Cent pro Kilowattstunde). „Wer schnell von den sinkendenden Großhandelspreisen profitieren möchte, kann seinen teuren Vertrag kündigen und einen günstigeren Neukundentarif abschließen“, sagte Aboalarm-Chef Jan Hendrik Ansink laut Mitteilung.
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Sonderkündigungen zum Vorjahr fast verdoppelt
Einen besonders hohen Anstieg seit Jahresbeginn hat der Online-Kündigungsservice in seiner Analyse im Bereich der Sonderkündigungen festgestellt. Zwischen Januar und März machten fast doppelt so viele Kunden (82 Prozent) gegenüber dem Vorjahreszeitraum von diesem Recht Gebrauch.
Beim Kündigungsdienst Volders – der im Sommer 2022 den früheren Mitbewerber Aboalarm übernommen hatte und somit zum gleichen Unternehmen gehört – sind „Preiserhöhungen“ seit Jahresbeginn zudem der häufigste Grund für die Kündigung von Energieverträgen (29 Prozent, 2022: 24 Prozent). Sie lösen damit den „Umzug“ als den seit Jahren wichtigsten Kündigungsgrund ab (27 Prozent, 2022: 30 Prozent).
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„Für viele Kunden lautet die Antwort auf eine Preiserhöhung: Kündigung, gerade wenn sie günstige Alternativen haben“, wird Ansink in der Mitteilung zitiert. Als aktuelles Beispiel führt er Nordrhein-Westfalen an: Seit Marktführer Eon im bevölkerungsreichsten Bundesland angekündigt hatte, zum 1. Juni 2023 die Preise bei der Strom-Grundversorgung zu erhöhen, habe Aboalarm eine Kündigungswelle zwischen dem 12. und 25. April 2023 festgestellt – die Zahl der Vertragsbeendigungen habe sich gegenüber den Vorwochen versechsfacht (plus 503 Prozent) und gegenüber dem Vorjahr mehr als verzehnfacht (plus 971 Prozent).
Sonderkündigungsrecht: Wann Verbraucher vorzeitig den Vertrag wechseln können
Aber wann können Kunden eigentlich per Sonderkündigungsrecht vorzeitig ihren Strom- oder Gastarif beenden? Sobald der Energieanbieter schriftlich eine Preiserhöhung ankündigt, können Verbraucher in aller Regel kündigen. Dabei spielt es keine Rolle, wie lange der Vertrag noch läuft.
Wichtige Voraussetzung: Die Sonderkündigung muss beim Strom- oder Gasanbieter eintreffen, bevor die neuen Preise in Kraft treten. Vertragsende ist der Tag vor der Preisumstellung. Eine Ausnahme gilt bei Tarifen in der sogenannten Grundversorgung (diese erhält man etwa automatisch, wenn man nie seinen Tarif wechselt). Diese haben grundsätzlich eine verkürzte Kündigungsfrist von nur zwei Wochen.
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Kündigungsbestätigung: Jede zehnte kommt erst nach der Frist
Weiteres Ergebnis der Untersuchung: Zwar können Kunden nach eingereichter Kündigung einen neuen Vertrag abschließen, sobald sie die Bestätigung des alten Energielieferanten erhalten haben. Doch ausgerechnet hier scheint es immer häufiger zu Verzögerungen zu kommen. Laut des Portals Volders erhielt mehr als jeder zehnte Wechselwillige (13 Prozent) im ersten Quartal 2023 die Kündigungsbestätigung erst auf ausdrückliche Nachfrage hin.
Laut Angabe des Wechselservices kam das bei keiner anderen Art von Verträgen so häufig vor. Branchenübergreifend kam es nur bei sechs Prozent der Kündigungen zu Verzögerungen. Grundsätzlich müssen Energieanbieter Haushaltskunden, die nicht in der Grundversorgung sind, die Kündigung innerhalb einer Woche bestätigen.
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