Ex-Präsident

Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow ist tot

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Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, aufgenommen am Rande einer Pressekonferenz am 21.11.2011 in Berlin.

Der ehemalige Präsident der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, aufgenommen am Rande einer Pressekonferenz am 21.11.2011 in Berlin.

Foto: Jörg Carstensen/dpa

Berlin/Moskau.  Michail Gorbatschow war einer der letzten noch lebenden Väter der Deutschen Einheit. Nun ist der Friedensnobelpreisträger gestorben.

  • Michail Gorbatschow ist tot
  • Der Friedensnobelpreisträger starb in Russland im Alter von 91 Jahren
  • Er galt als einer der Väter der Deutschen Einheit

Der letzte Präsident der Sowjetunion ist im Alter von 91 Jahren in Russland gestorben. Michail Sergejewitsch Gorbatschow sei seiner langen und schweren Krankheit erlegen, teilte das der russischen Präsidentschaft unterstellte Zentralkrankenhaus mit.

Der weltweit geschätzte Politiker galt als einer der Väter der Deutschen Einheit und als Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges. Besonders die Ostdeutschen verehren "Gorbi", wie er oft genannt wird, bis heute als Staatsmann, der ihnen vor mehr als drei Jahrzehnten die Freiheit brachte.

Gorbatschow: Der Vater von Glasnost und Perestroika

In den 1980er Jahren hatte die Sowjetunion unter Gorbatschows Führung mit den USA wegweisende Verträge zur atomaren Abrüstung und Rüstungskontrolle geschlossen. In seiner Heimat hatte Gorbatschow als Generalsekretär der Kommunistischen Partei mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) einen beispiellosen Reformprozess eingeleitet. Das brachte den Menschen in dem totalitären System bis dahin nie da gewesene Freiheiten.

1990 erhielt Gorbatschow für seine mutigen Reformen den Friedensnobelpreis. Der politische Prozess führte zu massiven Umbrüchen in allen Republiken des Sowjetstaates und letztlich zu einem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums.

Ein Großteil der russischen Bevölkerung sah den früheren Partei- und Staatschef stets als Totengräber der Sowjetunion – und als einen Politiker ohne Machtinstinkt. Gorbatschow trat als Präsident der Sowjetunion 1991 zurück, bevor sich der Staat wenig später selbst auflöste. Der neue starke Mann in Moskau wurde damals der russische Präsident Boris Jelzin (1931-2007).

Gorbatschow war von den Deutschen und dem Westen enttäuscht

Bis zu seinem Tod hatte Gorbatschow sich um seine eigene politische Stiftung in Moskau verdient gemacht. Die Organisation setzt sich für demokratische Werte und eine Annäherung Russlands an den Westen ein.

Gorbatschow schrieb zahlreiche Bücher – zuletzt unter anderem auch über seine Enttäuschung von den Deutschen und dem Westen. Konkret beklagte er dabei, dass neue Feindbilder gegen Russland gezeichnet würden. Zu den Feiern zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im Herbst 2019 war er aus Gesundheitsgründen nicht gereist. Er musste in den vergangenen Jahren immer wieder im Krankenhaus behandelt werden.

Der Politiker war Miteigentümer der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“, die immer wieder Missstände in Russland aufdeckt. Gorbatschow hatte in den vergangenen Jahren Kremlchef Wladimir Putin mehrfach aufgefordert, die Freiheit der Medien und Wahlen nicht weiter einzuschränken.

Der Staatsmann wird in Moskau auf dem Neujungfrauenfriedhof für Prominente beerdigt – neben seiner Frau Raissa.

Michail Gorbatschow: Stationen seines bewegten Lebens

  • 2. März 1931: Geburt im nordkaukasischen Dorf Priwolnoje (Region Stawropol). Der Sohn eines Kolchose-Bauern arbeitet zunächst als Mähdreschermechaniker. Für den Wehrdienst ist er untauglich.
  • 1950: Jura-Studium an der Moskauer Lomonossow-Universität. Dort lernt Gorbatschow seine spätere Frau Raissa (1932-1999) kennen.
  • 1952: Nach dem Beitritt zur Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) folgt eine steile politische Karriere. Er wird 1971 Mitglied des Zentralkomitees und 1980 rückt er ins Politbüro auf. Als Repräsentant des Obersten Sowjets gestaltet er die Kreml-Politik mit.
  • 11. März 1985: Gegen den Widerstand kommunistischer Altkader wird er mit 54 Jahren zum zweitjüngsten Generalsekretär der Parteigeschichte gewählt. Gorbatschow leitet eine historische Reformpolitik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) ein
  • 1988: In einer Rede vor den Vereinten Nationen in New York kündigt er einseitige Abrüstungsschritte an. Das Echo ist weltweit positiv. Zudem zieht Gorbatschow nach einem zehnjährigen militärischen Fiasko die sowjetischen Truppen aus Afghanistan ab.
  • 7. Oktober 1989: Bei einem Besuch in Ost-Berlin kommt es zur berühmten Formulierung: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – obwohl er den Satz so nie gesagt haben soll.
  • 16. Juli 1990: Gorbatschow stimmt im Kaukasus bei einem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl der deutschen Wiedervereinigung zu.
  • 1990: Gorbatschow, der nun offiziell den Amtstitel Sowjetpräsident trägt, erhält den Friedensnobelpreis. Das Staatsoberhaupt spiele eine führende Rolle im Friedensprozess, begründet das Komitee die Wahl.
  • 1991: Gorbatschow übersteht zwar einen Putsch von Parteifunktionären. Aber immer mehr Sowjetrepubliken sagen sich von Moskau los. Daraufhin tritt Gorbatschow am 25. Dezember als Präsident zurück.
  • 1992: In Moskau nimmt die Gorbatschow-Stiftung ihre Arbeit auf. International bleibt der Ex-Präsident ein gefragter Diskussionsgast. In der russischen Tagespolitik ist seine Stimme über viele Jahre kaum zu vernehmen. In der Ukraine-Krise meldet er sich wieder häufiger zu Wort.
  • 2001-2009: Gorbatschow engagiert sich im Petersburger Dialog, einem zivilgesellschaftlichen Forum zwischen Deutschland und Russland.
  • 30. August 2022: Gorbatschow stirbt im Alter von 91 Jahren in Moskau.

Gorbatschows Tod löst international Bestürzung aus

International löste die Nachricht von Gorbatschows Tod große Bestürzung aus. UN-Generalsekretär António Guterres bezeichnet den Friedensnobelpreisträger als „einzigartigen Staatsmann, der den Gang der Geschichte verändert hat“. „Er hat mehr als jeder andere für ein friedliches Ende des Kalten Krieges getan.“ EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, Gorbatschow habe „eine entscheidende Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges und dem Fall des Eisernen Vorhangs“ gespielt und „den Weg für ein freies Europa“ geebnet.

US-Präsident Joe Biden würdigte Gorbatschow als „Mann mit außergewöhnlicher Weitsicht“ und „Anführer, wie es ihn selten gibt“, der die Welt „sicherer“ gemacht habe. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bezeichnete Gorbatschow als „Mann des Friedens, dessen Entscheidungen den Russen den Weg zur Freiheit eröffnet haben“. Der britische Premierminister Boris Johnson würdigte das historische Erbe Gorbatschows. „Ich habe immer den Mut und die Integrität bewundert, die er gezeigt hat, indem er den Kalten Krieg zu einem friedlichen Ende brachte“, schrieb Johnson auf Twitter. Auch Kremlchef Wladimir Putin äußerte sich zum Tod seines Amtsvorgängers und sprach sein Mitgefühl aus. Putin werde der Familie Gorbatschows am Mittwochmorgen ein Telegramm schicken, teilte ein Kremlsprecher mit.

Auch mehrere Bundespolitiker würdigten den Friedensnobelpreisträger kurz nach Bekanntwerden seines Todes. Ohne Gorbatschow „wären die friedlichen Revolutionen in den Ländern des Ostblocks, bei uns, so nicht denkbar gewesen“, schrieb die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) auf Twitter. „Seine Worte haben uns, haben mich, ermutigt, stark gemacht.“

Deutschland habe Gorbatschow viel zu verdanken, schrieb Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) auf Twitter. „Er leitete das Ende des kalten Krieges ein, ermöglichte Deutschlands Wiedervereinigung und schenkte seinem Land ein demokratisches Momentum. Ein mutiger Überzeugungstäter, dessen Stimme fehlen wird.“ CDU-Chef Friedrich Merz schrieb auf Twitter, ohne Gorbatschow wäre „die deutsche Einheit in Freiheit“ nicht möglich gewesen.

(fmg/dpa/AFP)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.

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