Arnsberg/Essen. Eine Studie wirft Behörden vor, bei der Integration von Flüchtlingen zu versagen. Die Lösungsansätze sind drastisch. Die Kommunen ernten Lob.
Die mangelhafte Zusammenarbeit von Verwaltungen und Behörden bei der Bewältigung des Flüchtlingszustroms behindert die Integration und verschlingt unnötig viel Zeit und Geld. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Bochumer Verwaltungswissenschaftlers Prof. Jörg Bogumil im Auftrag der Stiftung Mercator. Die Studie fordert die Bundesregierung auf, die Zuständigkeiten im Bereich Asyl und Integration neu zu ordnen.
Bogumil untersuchte das Verwaltungshandeln der Kommunen auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015/2016 und stützte sich dabei vor allem auf Erkenntnisse der Städte Arnsberg und Bochum. „Wir haben ein Kompetenz- und Organisationsversagen festgestellt“, sagte er der FUNKE Mediengruppe. „Dass daraus kein Staatsversagen geworden ist, verdanken wir den Kommunen, die mit Flexibilität und Improvisationskunst auf die Probleme reagiert haben.“
Politik muss Zuständigkeits-Durcheinander beenden
Die Politik müsse vor allem das Zuständigkeits-Durcheinander im Bereich Asyl und Integration beenden, forderte Bogumil. „Jeder macht das vermeintlich Richtige, aber niemand ist für den Gesamtprozess verantwortlich“, kritisierte er. Beispiel Sprachkurse: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) organisiere den ersten Sprachkurs über seine Außenstellen, stimme sich dann aber nicht mehr mit den Anbietern vor Ort über Folgekurse ab. Ob Flüchtlinge weiter Deutsch lernen könnten, bliebe häufig deshalb dem Zufall überlassen. Beispiel Zeugnisse: Alle ausländischen Abschlüsse unterhalb des Gymnasiums werden von der Bezirksregierung Köln begutachtet. Weil die aber nicht genug Personal habe, dauere eine Beurteilung bis zu sechs Monaten. „Bürokratie bremst Integration“, sage Bogumil.
Weitere zentrale Forderungen:
- Die Umsetzung von Integrationsmaßnahmen müsse flexibler gestaltet werden. Pauschalierungen sollten aufwändige Einzelfallprüfungen ersetzen.
- Das Asylbewerberleistungsgesetz solle abgeschafft werden. „Die aktuelle Regelung zum Leistungsbezug durch Geflüchtete bedeutet einen enormen Verwaltungsaufwand, obwohl tatsächlich nur sehr geringe Leistungsunterschiede bestehen“, so Bogumil. Eine generelle Öffnung von Hartz IV für Asylbewerber würde Abhilfe schaffen.
- Die Politik müsse sich zurücknehmen, forderte der Wissenschaftler „Künftig sollte auf symbolische Rechtsänderungen aus politischen Motiven verzichtet werden, da diese die Arbeit vor allem in den Kommunalverwaltungen erheblich verkomplizieren und gleichzeitig wenig bewirken.“
Die Ausländerbehörden und ihre Mitstreiter werden sich nun mit der Studie auseinandersetzen müssen. Denn „Probleme gibt es reichlich“, sagt Autor Prof. Dr. Jörg Bogumil. Der Verwaltungswissenschaftler hat untersucht, wie die Kommunen mit der Flüchtlingskrise umgehen.
Besser gesagt: umgehen müssen. Denn die Defizite, die Bogumil und sein Team von der Ruhr-Universität Bochum zutage förderten, sind gravierend. Die Städte können nichts dafür, im Gegenteil: Sie müssen Fehler ausbaden, die Bund und Länder zu verantworten haben.
Bundesamt für Migration arbeitet nicht effizient
Doppelarbeit und mangelhafte Kommunikation sind die wichtigsten Defizite, die Bogumil ermittelt hat. Er kritisiert vor allem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Weil es nicht effizient arbeite, sei es dafür verantwortlich, dass zahlreiche Syrer vor den Verwaltungsgerichten mit ihren Klagen gegen abgelehnte Asylbescheide erfolgreich seien.
Dass Flüchtlinge, deren Asylstatus anerkannt wurde, eine neue Gesundheitskarte beantragen müssen, kann der Forscher nicht nachvollziehen. Vielerorts gebe es nämlich kein vernünftiges Übergabe-Management, so dass sämtliche Daten erneut eingegeben werden müssen.
"Verwaltung will Missbrauch aufdecken, statt zu helfen"
„Wir haben eine Misstrauensverwaltung“, sagt Bogumil. „Sie beruht einzig und allein darauf, Missbrauch zu entdecken und nicht zu helfen.“ Die Bürokratie fresse Zeit und Geld. Und sie belaste nicht nur die Flüchtlinge selbst, sondern auch ehrenamtliche Helfer, die angesichts zahlreicher verfahrenstechnischer Stolpersteine am Sinn ihrer Tätigkeit zweifelten.
Die Stiftung Mercator will nun einen Diskussionsprozess in Gang setzen, sagt Geschäftsführer Dr. Wolfgang Rohe. Unmittelbar im Anschluss an die Bundestagswahl sollen sich alle betroffenen Stellen auf Einladung der Stiftung in Berlin an einen Tisch setzen, um über die Lösungsvorschläge der Untersuchung zu debattieren.
Lob für Improvisationskunst der Kommunen
Der Arnsberger Bürgermeister Hans-Josef Vogel (CDU) kennt das umfangreiche Papier schon. Schließlich hat der Professor aus Bochum die Stadt im Sauerland für seine Forschungen besonders genau unter die Lupe genommen. Arnsberg schnitt dabei ziemlich gut ab, unter anderem weil die Verwaltung für Flüchtlinge zentrale Anlaufstellen eingerichtet hat, um eben kein Verantwortungs-Durcheinander entstehen zu lassen.
Arnsberg liefere ein gutes Beispiel für positive Improvisationskunst, lobt Bogumil. Mit Vogels Wechsel auf den Stuhl des Regierungspräsidenten am 1. September verbindet der Wissenschaftler die konkrete Hoffnung, dass das Arnsberger Vorbild Schule macht: Die Bezirksregierung ist landesweit für die Umsetzung großer Teile der Flüchtlingspolitik verantwortlich.
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