Arnsberg. Stereotype aufbrechen und live mit Azim Fakhri über Flucht und Integration reden. Integrationsrat Arnsberg lädt zum Film in Kulturschmiede ein.
„Sehe ich wie ein Krimineller aus? Oder was ist los?“, sagt einer der Protagonisten des Films „Wir sind jetzt hier!“, während er mit den Fingerspitzen an seiner Haarsträhne zieht. „Wir sind Menschen“, sagt ein anderer, „ein Körper voll mit Gefühlen.“
Lesen Sie auch <<<Vier Kinder aus Herdringen wachsen ohne Mama auf>>>
Das sind sie. Sieben Junge Männer, die allein aus ihrer Heimat geflohen und in Deutschland ein neues Zuhause gefunden haben. Junge Männer, die zur Zielscheibe für Zweifel, Vorurteile und Hass werden. „Wir wissen, dass man wirkmächtige Stereotype meist nicht mit Argumenten aufbrechen kann, egal wie gut und empirisch fundiert diese sind – was aber helfen kann, damit Leute begreifen, dass Pauschalisierung ins Leere läuft: Begegnungen, unmittelbarer Kontakt mit konkreten Menschen“, so Niklas von Wurmb-Seibel, gemeinsam mit seiner Frau Ronja Regisseur des Films, „Also baten wir sieben junge Männer, uns ihre Geschichte zu erzählen, in die Kamera, in einem sehr intimen Setting – sie sind alle um 2015 hierher geflohen, aus Afghanistan und Syrien, Somalia, Eritrea und dem Irak.“
Das Publikum komme mit einem Stereotyp und gehe mit dem Gefühl, sieben junge Menschen kennengelernt zu haben, die so unterschiedlich sind, dass man sich von dem Wunsch verabschiede, zu verallgemeinern. Seine Frau Ronja und er hätten fünf Jahre lang als Pflege-Eltern mit einem der Protagonisten des Films zusammengelebt. Kennen lernten sie ihn während ihrer Arbeit als Journalistin und Journalist in Afghanistan. „Er rief uns 2015 aus Ungar an“, so Niklas von Wurmb-Seibel weiter, „wir halfen ihm damals über die Grenze.“
Männer erzählen selbst im Film in der Kulturschmiede Arnsberg
An seiner Seite hätten sie in den folgenden Jahren erlebt, welch riesige Lücke zwischen dem rassistischen Stereotyp „junger Mann, der allein nach Europa flieht“ und den konkreten Erfahrungen einzelner junger Männer klaffe, von denen öffentlich selten berichtet werde. In dem Film „Wir sind jetzt hier!“ wird nicht über diese jungen Männer gesprochen - sie erzählen selbst. Von ihren Erfahrungen, ihren Gefühlen und den vielen Gedanken, die sie umtreiben. „Kann ich meine Familie wiedersehen?“, fragt sich Azim Fakhri aus Afghanistan im Film, „Ein Teil deines Lebens bleibt irgendwo. Und du verstehst: Sie sind in Gefahr und du lernst Dativ und Akkusativ.“ Und er fragt ganz klar: „Warum machen wir sowas? Warum bauen wir zwischenmenschliche Grenzen?“
Diese und viele weitere Geschichten über das Ankommen in Deutschland zeigt die Filmvorführung am Donnerstag, 19 Uhr, in der Kulturschmiede, organisiert vom Integrationsrat der Stadt Arnsberg und gefördert durch das Kommunale Integrationszentrum des Hochsauerlandkreises (Projekt: Komm-an). Die Geschichten der Männer zeigen die emotionalen Turbulenzen, die die Flucht und der Neustart in einem fremden Land mit sich bringen und sie erzählen viel darüber, was es in den nächsten Jahren braucht, damit Integration gelingt.
Integrationsdebatte um erschwerende Maßnahmen
Darf ich arbeiten oder bin ich gezwungen, Transferleistungen zu beziehen, obwohl ich womöglich schon Qualifikationen mitbringe? Muss ich in einer Sammelunterkunft wohnen oder darf ich auch in einer Gast- oder Pflegefamilie unterkommen, wo der Spracherwerb wie nebenher passiert? Kann ich einen Deutschkurs besuchen? Dürfen meine Kinder in die Schule? Wie lange muss ich warten, bis über mein Aufenthaltsrecht entschieden ist?
All dies sind Fragen, die sich Menschen, die in Deutschland ankommen, stellen. Hinzu kommen die Erwartungen der Gesellschaft. „Bei nahezu allen Forderungen, die wir als Aufnahmegesellschaft an Menschen richten, die neu hier ankommen, haben wir, haben Behörden, hat der Staat viel mächtigere Hebel in der Hand als die einzelne Person“, denkt Niklas von Wurmb-Seibel, doch „aktuell dreht sich die öffentliche Integrationsdebatte um Maßnahmen, die das Ankommen ausnahmslos schwerer machen und wie Schikane wirken.“
Auch interessant <<<Arnsberger Herbst stimmte Händler und Besucher zufrieden>>>
Es brauche Politikerinnen und Politiker, die dem „Überbietungswettbewerb“ bezüglich der Abschottung eine andere Erzählung entgegensetzten, nämlich eine, bei der Zuwanderung als Gewinn begriffen werde. „Eine, bei der wir kreative Wege finden, Fluchtmigration und Fachkräftemangel stärker zusammenzudenken. Eine, die erklärt, dass Wohnungsnot und überfüllte Schulklassen nicht durch Geflüchtete entstehen, sondern durch jahrzehntelange Versäumnisse in Sozial- und Bildungspolitik.“
Weitere Infos zum Filmprojekt unter: www.fes.de/wirsindjetzthier.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Arnsberg