Matinée am Sonntag

Eine Zeitreise in die Schwelmer Vergangenheit

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Die Uhrzeiger der Christuskirche wurden früher durch das Turmuhrwerk angetrieben. Heute geschieht dies funkgesteuert.

Die Uhrzeiger der Christuskirche wurden früher durch das Turmuhrwerk angetrieben. Heute geschieht dies funkgesteuert.

Foto: Hans Blossey

Schwelm.   Das Archiv des Haus Martfeld beherbergt so einige Schätze. Dazu gehören auch einige besonders schmucke Zeitmesser.

„Wie ist denn jetzt schon wieder die Zeit so schnell vergangen?“ – Bei dieser Aussage hat sich wahrscheinlich jeder schon einmal ertappt. Und wer kennt es nicht: Das eine Mal „rennt“ die Zeit, im nächsten Moment scheint sie still zu stehen. Die „Matinée am Sonntag“ im Haus Martfeld hat dem Phänomen nun unter Leitung des städtischen Fachbereiches Schule, Kultur, Sport einen Vormittag gewidmet.

Das Archiv des Haus Martfeld beherbergt so einige Schätze. Dazu gehören auch einige besonders schmucke Zeitmesser: Unter Führung von Bärbel Jäger, Kuratorin des Museums Haus Martfeld, durften die circa 70 Besucher der Matinée Uhren aus Spätbarock, Klassizismus und Biedermeier bewundern. Auch eine originale Glocke aus den Türmen der Christuskirche gibt es im Archiv zu sehen.

Die Christuskirche stand auch im Mittelpunkt des Vortrages von Uhrmachermeister Hartmut Danz: Er präsentierte Wissenswertes rund ums Thema Zeitmessung im Allgemeinen und die Uhrwerke der Christuskirche im Besonderen. So erfuhren die Gäste, dass die Uhrzeiger früher durch das Turmuhrwerk angetrieben wurden, heute aber funkgesteuert sind. Nachgerüstet wurde auch bei der Ingangsetzung der Glocken. Die „Paulus“-Glocke wiegt zum Beispiel 4850 Kilo – um ein solches Gewicht in Bewegung zu setzen, ist viel Energie nötig, die heute von einem Elektromotor aufgebracht wird.

Eine Zeitreise in die Vergangenheit unternahm Heimatkundler Klaus Koch mit dem Publikum: Er berichtete über eine spezielle Variante des Freizeitsports vor über 100 Jahren. Von 1907 bis 1912 gab es am Schwelmer Brunnen eine Pferderennbahn, die das Gastronomiegewerbe rund um den berühmten Gesundbrunnen florieren ließ. Heute findet sich von der Rennbahn, die 1912 der Bahnlinie weichen musste, keine Spur mehr. Aber auch Ereignisse in der Gegenwart können uns das Verstreichen der Zeit manchmal sehr bewusst werden lassen. Frank Nockemann vom Städtepartnerschaftsclub Schwelm-Fourqueux e.V. fuhr das Begleitfahrzeug während der Fahrradtour nach Fourqueux anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Städtepartnerschaft 2017. Auf der Matinée berichtete er von seinen Erlebnissen.

Einen eher philosophischen Ansatz wählte Jens Möllenbeck, der neue Archivar der Stadt: „Wer mit Blick auf die Armbanduhr feststellt, dass die Zeit vergeht, der hat kein Zeitgefühl, sondern Depressionen“, stellte er gleich zu Beginn klar.

Verschiedene Sichtweisen

Angefangen beim französischen Philosophen Marcel Proust und seinen sieben Bänden „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, nach dessen Theorie die Vergangenheit nur in der individuellen Erinnerung existiert, tastete sich Möllenbeck näher an die große Frage heran: Wie merkt man eigentlich, dass die Zeit vergeht? Dabei kam auch das ein oder andere Fundstück aus dem Stadtarchiv zum Einsatz – zum Beispiel historische Werbung Schwelmer Unternehmen. „Haben wir nicht selbst gerade noch mit Schreibmaschinen geschrieben?“, fragt sich Möllenbeck angesichts einer dementsprechenden Anzeige, muss aber gleichzeitig konstatieren, dass schon Siegmund Freud seine Werke auf einem dementsprechenden Gerät niederschrieb. Der Fahrplan einer damals brandneuen Dampflok in der Schwelmer Tageszeitung von 1847 dagegen ist Zeugnis einer ganz anderen Epoche – obwohl ein Zuhörer mit Blick auf die darin ausgeschriebene fünfstündige Bahnfahrt von Düsseldorf nach Soest trocken bemerkt: „Ähnlich wie heute.“

Seinen Vortrag schloss der schon von Berufs wegen „Zeitreisende“ Möllenbeck mit einem Appell an die Zuhörer. Das Stadtarchiv sei immer auf der Suche nach interessanten Nachlässen – denn auch das kleinste Zeitüberbleibsel könne heute nur der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, weil sich irgendjemand einmal die Mühe gemacht habe, es beim Stadtarchiv abzugeben.

Wer Bedenken wegen der Veröffentlichung hat, kann einen Vertrag über eine bestimmte Zeit mit dem Archiv abschließen: „Wenn Sie es nicht möchten, schaut da dann vor 2067 keiner rein.“

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