Elf Menschen aus Hagen erzählen ihre Corona-Geschichte

Sara Pena (32) und Jeong Min Kim (25) sitzen vor dem großen Spiegel im Ballett-Trainingsraum des Hageners Theaters. Pena stammt aus Madrid, Min Kim ist aus Seoul in Südkorea. „Alles, was das Ballett aus emotionaler Perspektive ausmacht, geht derzeit verloren“, sagt Sara Pena. Sie meint die Energie zwischen Publikum und Tänzern, das Miteinander von Betrachter und Künstler in einem Theater.Denn der Lockdown sorgt dafür, dass Min Kim und Pena nicht ihren Zauber auf die Bühne bringen können, sondern dass sie im Einzeltraining ganz für sich ihren Körper in Form halten müssen. Gemeinsame Übungseinheiten finden in Zoom-Konferenzen statt. Zwar sehen sich die Tänzer der Compagnie dabei untereinander, die Synchronisierung und die gemeinsame Performance sind aber unglaublich schwierig auf diese Weise. „Manchmal fühlen sich unsere Körper müde an durch die aktuellen Bedingungen“, sagt Jeong Min Kim. Und dazu kommt auch: Balletttänzer haben eine zeitlich limitierte Karriere. Jedes Jahr, in dem sie nicht vor Publikum auftreten, ist sehr schnell ein verlorenes Jahr. Vor dem Lockdown hatte es Darbietungen gegeben, die Corona und die Pandemie sogar mit aufgegriffen hatten. Ballett-Direktorin Marguerite Donlon kreierte einen Prolog zu ihrem Werk: Schwanensee – Aufgetaucht. Oder „Zart“, das ursprünglich als dreiteiliger Tanzabend konzipiert war. Donlons weltweit gefeierte Choreographie „Strokes through the Tale“ sollte den musikalischen Kern in Konzentration auf Komponist Mozart bilden. Die Sicherheitsmaßnahmen für das Ensemble berücksichtigt, wurden zunächst nur die Uraufführungen „Fragile“ und „Jurema“ präsentiert. Von der großen Bühne sind Sara Pena und Jeong Min Kim aktuell weit entfernt. „We are ready“, sagen die beiden. Sie seien bereit. Foto: Kleinrensing

„Mir fehlten die Kommunikation und das Orchester“, sagt Anton Kurzenok. Der 29-Jährige Russe ist Opernsänger am Hagener Theater. Genauer gesagt: Tenor. Er begann sein Musikstudium an der Hochschule für Kunst in Orenburg und setzte es von 2011 bis 2016 bei Viktor Demidov mit Abschluss am Staatlichen Konservatorium Saratow 2016 fort. Von 2018 bis 2020 gehörte Anton Kuzenok als Mitglied zum Internationalen Opernstudio der Oper Köln.Und jetzt? Jetzt ist er aktuell in Russland auf Familienbesuch. Er hat Zoom-Meetings mit den anderen Ensemble-Mitgliedern. Und Whatsapp-Kontakt. „Jeder Sänger braucht eigentlich einen Pianisten, der ihn begleitet“, sagt Kuzenok, den wir telefonisch erreichen. Sein Vertrag am Hagener Theater läuft erst seit einem halben Jahr. Großartig vor Publikum singen konnte Kuzenok also noch gar nicht. „Es ist schade, jetzt so warten zu müssen. Auf das Hagener Theater habe ich mich sehr gefreut, weil es akustisch ein interessantes Haus ist. Zudem mag ich es, persönlich mit den Kollegen zu kommunizieren, was ja jetzt überhaupt nicht geht.“ Der Vertrag von Anton Kuzenok läuft über zwei Jahre. Er hofft, bald wieder vor Publikum zu singen. Foto: Privat

Elf Menschen aus Hagen erzählen ihre Corona-Geschichte

Stellvertretend für die DJs in der Stadt spricht Andreas Meißer (36), vielen eher bekannt als DJ „ND.M“. „Ich muss sagen, dass es einem DJ aufs Gemüt drückt, wenn er nicht vor Publikum auflegen kann. Das Wechselspiel von Tanzfläche und DJ, das kann kein digitales Format reproduzieren und ersetzen“, sagt er. Das letzte Mal, dass er in einem Club aufgelegt hat, war im März vergangenen Jahres. „Vielleicht ist einer der wenigen Vorteile, dass ich aktuell etwas mehr Zeit am Wochenende habe“, sagt Meißer. Die Botschaft, die er generell als DJ verbreiten will – nämlich Freude an Musik und Tanzen zu haben und Geselligkeit zu leben –, die transportieren er und sein DJ-Kollege Marvin Saake aktuell trotzdem. Jeden Freitag legen die beiden auf der Online-Plattform „Twitch“ auf. Manchmal schalten sich 30 Zuschauer ein, manchmal 60. „Darauf kommt es auch gar nicht an. Wir wollen weiter machen, was wir so gerne tun. Und wenn wir auf diese Weise nur ein paar Leuten eine Freude damit machen, ist das total okay.“ Im heimischen Arbeitszimmer wird dann ein grünes Tuch aufgehängt, auf dem im Hintergrund später Club-Atmosphäre dargestellt wird. Gespielt wird Musik zu einem Thema oder einer Zeit, die vorher schon als Motto des Abends ausgegeben wird. Parallel interagieren die User im Chat mit den DJs und wünschen sich Songs. „Es ist trotz Pandemie eine gesellige Abwechslung“ sagt Meißer. Foto: privat

Elf Menschen aus Hagen erzählen ihre Corona-Geschichte

Teresa Felgenhauer jobbt im Leo-Theater in Schwelm. Beziehungsweise jobbte. An der Theater-Abendkasse war die 20-Jährige für die Ausgabe der Tickets zuständig und für die Abrechnung. „Ich habe mich auch um Organisatorisches gekümmert, wenn etwas anfiel“, sagt die junge Frau. Aber wie im gesamten Kulturbereich musste auch das Theater in Schwelm coronabedingt schließen. Im ersten Lockdown, im zweiten Lockdown. Und nun immer noch auf unbestimmte Zeit ohne Öffnungsperspektive. „Leider kann ich aktuell nicht mehr arbeiten und bekomme daher auch kein Geld. Sehr schwierig, gerade wenn man nicht mehr zuhause wohnt und eine eigene Wohnung hat. Ich weiß auch nicht, wann es weitergeht“, beschreibt die 20-jährige Hagenerin die Situation. Einen anderen Job suchen wolle sie aber nicht: „Ich bin total glücklich mit meiner Stelle und komme mit allen Kollegen sehr gut klar. Solange bis es weitergeht, bekomme ich auch Unterstützung von meiner Familie. Ich freue mich aber, wenn es endlich wieder losgeht und der Betrieb wieder läuft.“ Foto: privat

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Stellios Christidis ist seit fast sieben Jahren Teil des Extrablatt-Teams in Hagen mitten im Herzen der Stadt. Als Schichtleitung war er Ansprechpartner für Gäste und Personal während seiner Schicht, ist aber auch für die Ladenschließung und Tagesabrechnung zuständig. Sein Job macht ihm Spaß: „Aber arbeiten kann ich aktuell leider nicht, also nicht in meinem Beruf, was finanziell wirklich schwierig ist“, sagt der 26 Jahre alte Hagener. „Anfangs war das Ganze entspannt, man konnte ein wenig von dem Alltagsstress runterkommen. Ich habe die letzten drei Jahre drei- bis viermal pro Woche neben dem Studium gearbeitet und das bis teilweise weit nach Mitternacht“, erinnert er sich zurück. Das Ganze war aber nur so lange entspannt, bis dann die Rücklagen schwanden: „Ab dem Zeitpunkt war dann Schluss mit lustig“, sagt Stellios Christidis, der übergangsweise nach einem neuen Job sucht, bis der Betrieb wieder anlaufen kann. Denn auf das Einkommen ist er angewiesen: Sein Studium in Iserlohn, auf das er sich gerade hauptsächlich konzentriert, finanziert er aus eigener Tasche. . . Foto: privat

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Seit 1922 betreibt die Familie Nünnerich Friseursalons in Hagen. Seit knapp 100 Jahren also. Eine Situation wie die, die Friseurmeister Axel Nünnerich (51) mit seinem Salon an der Schwerter Straße in Boele aktuell erlebt, hat dabei keine Vorgängergeneration – trotz aller Krisen und schwerer Zeiten – erleben müssen. „Dass wir nicht öffnen können, bleibt für mich weiterhin schwer nachvollziehbar“, sagt Nünnerich. Die Friseure hätten bereits bewiesen, dass sie mit funktionierenden Hygienekonzepten kein Infektionsherd seien. „Das ist auch für die Seele unglaublich hart“, sagt Nünnerich sehr ehrlich. „Antriebslosigkeit kommt auf. Anfangs baut man Überstunden ab mit dem Team, erledigt, was man erledigen kann, aber dann steht man ganz schnell vor leerer Zeit. Und wenn man sich Sorgen machen muss, dass die Liquidität flöten geht, denkt man auch über so Themen wie Insolvenz nach. Den Schritt muss ich glücklicherweise nicht gehen. Aber die Zeit ist mehr als hart.“Er hat bereits im ersten Lockdown seine Altersvorsorge beitragsfrei gestellt, was nicht mehr rückgängig zu machen ist. Geschätzter Verlust: etwa 60.000 Euro. Würde ihm das Haus, in dem der Salon liegt, nicht gehören, sähe es noch düsterer aus. „Corona-Hilfen zu bekommen, ist dazu noch unglaublich kompliziert“, so der Friseurmeister. Er spricht die Dinge ehrlich aus. Er wird ab dem 1. März Überstunden machen. „Von meinen Angestellten verlange ich das aber nicht.“ Der Terminkalender ab dem 1. März ist glücklicherweise gefüllt. Trotz der Arbeit, die da auf ihn zukommt: Die Löcher der letzten Monate wird das niemals stofen Foto: Kleinrensing

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Manchmal sitzt Cornelia Schmacke zuhause und dann überkommt es sie. Dann überkommt sie die pure Verzweiflung, weil sie nicht weiß, wie es weitergehen soll. Oder ob es überhaupt weitergeht. Jeden Tag lebt sie in der Hoffnung, dass es irgendwann wieder losgehen kann. „Ich habe mir übergangsweise keinen neuen Job gesucht. Weil irgendwie denkt man: Vielleicht kann ich in zwei Wochen doch die Türen wieder aufmachen.“ Seit 20 Jahren betreibt sie ihr Kosmetik-Institut in Hagen. Im April wollte sie den 20. Geburtstag feiern. Aber zu feiern gibt es jetzt eigentlich nichts mehr. „Wenn wirklich weiter der 35er-Inzidenzwert für eine Öffnung als Maßstab gilt, dann werden viele verloren sein. Die Hilfen lassen lange auf sich warten, wir müssen alle unsere Rechnungen bezahlen.“ Cornelia Schmacke hat in ihrem Laden aussortiert, aufgeräumt, jeden Winkel geputzt. Und jetzt wartet sie. Bei all dem Verständnis, das sie habe: „Ich weiß ehrlicherweise nicht, wo der Unterschied zu Friseuren liegt. Ich gönne es den Kollegen, aber unfair ist es schon. Warum dürfen sie öffnen, wir nicht? Wenn Städte im Umkreis eine Inzidenz von 35 haben, dann weichen die Kunden halt dorthin aus.“ Aber sie gibt die Hoffnung nicht auf: „Ich liebe meinen Job einfach.“ Foto: Privat

Elf Menschen aus Hagen erzählen ihre Corona-Geschichte

„Ich arbeite seit sechs Jahren im Kino als Service-Kraft, verkaufe Eintrittskarten, Snacks und Getränke als Studentin auf Teilzeit“, sagt Lisa Reyer aus Hagen. Die 24-Jährige studiert im sechsten Semester Soziale Arbeit, die Arbeit im Kino ist ihre Haupteinnahmequelle. „Als der erste Lockdown kam, hatten wir das Glück, Kurzarbeiter-Geld zu bekommen“, erinnert sich Lisa an die Anfänge der Pandemie im März. Im zweiten Lockdown war das zunächst auch der Fall, „seit Dezember leider nicht mehr.“ Gerade für Beschäftigte in der Kino-Branche sei der Winter wichtig. Hier läuft das Hauptgeschäft. „So musste ich erst mit viel weniger Geld zurechtkommen und seit Dezember tatsächlich ohne . . . “ Existenzängste und Sorgen, Schulden anzuhäufen, hatte die 24-Jährige vor Corona nie. „Aber trotz Jobverlust muss ich auch als Studentin jetzt alles bezahlen: Semesterbeiträge, Ticket und so weiter“, sagt Lisa Reyer. „Ich habe Glück, dass ich schnell einen Job auf 450-Euro-Basis gefunden habe, um mich über Wasser zu halten. Dennoch ist das für mich als junger Mensch eine schwierige und belastende Situation“, gibt sie ehrlich zu. „Denn man weiß ja nicht, wie und wann es weitergeht und ob die Betriebe diese Krise überstehen.“ Foto: privat

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Noemi Notaro, 24, hat von 2018 bis Februar 2021 bei Vero Moda in der Hagener Innenstadt gearbeitet. „Ich habe die Kunden beraten, kassiert, Kundenbestellungen bearbeitet und auch Büroarbeit und Reinigungsarbeiten erledigt“, sagt die Hagenerin. „Wir als Aushilfen bzw. studentische Teilzeitkräfte haben unsere Arbeit für die ganzen Lockdown-Monate verloren und haben weder im ersten noch im zweiten Lockdown einen Cent Kurzarbeitergeld bekommen“, beschreibt sie ihre Situation. „Ich konnte meine laufenden Kosten nur bezahlen, weil ich Unmengen an Überstunden hatte.“ Andere Mitarbeiter hingegen gingen teilweise komplett leer aus. „Es ist ein sehr bedrückendes Gefühl, kein Geld mehr verdienen zu können. Zum einen ist es Teil des Lebens, Arbeiten gehen zu können und gibt vor allem uns Studenten eine gewisse Struktur in unserem Alltag. Aber der finanzielle Aspekt ist wahrscheinlich der schwerwiegendste, vor allem weil ja kein Ende in Sicht zu sein scheint.“ Die 24-Jährige musste jetzt kündigen – „leider“, wie sie sagt. Denn eigentlich mache der Job ihr Spaß. „Aber ich musste mir einen Job suchen, der auch „corona- fest“ ist. Jetzt arbeite ich in einem Institut für medizinische Laboratoriumsdiagnostik in Bochum.“ Foto: privat

Elf Menschen aus Hagen erzählen ihre Corona-Geschichte

Die Betreiber des Hotels Lex unweit des Hagener Theaters, Claudius und Christiane Lex, berichten stellvertretend für die Hagener Hotel-Szene darüber, wie es aktuell um ihr Haus bestellt ist. „Wie bei wohl fast allen Hotels, führte der Lockdown im März 2020 zu einer katastrophalen Situation: Innerhalb kürzester Zeit erlebten wir, wie 80 bis 90 Prozent der getätigten Reservierungen für das nächste halbe Jahr storniert wurden bzw. die Gäste einfach nicht anreisten. Neue Reservierungen blieben nahezu aus. Bis wir realisiert hatten, was die Pandemie für unser Haus bedeuten könnte, war durch laufende Kosten eine kritische Finanzlage erreicht.“Erst als die Soforthilfe das Hotel Lex erreicht und man auf Kurzarbeit umgestellt habe, konnte man erstmal etwas durchatmen. „Wir haben anfangs, wenn Kosten höher als der Ertrag waren, durch tageweises Schließen des Hauses den Betrieb einschränken müssen. Erst nach den Lockerungen näherten wir uns langsam wieder einem positiven Bereich. Dann kam der November. Schon vorher reduzierte sich unsere Belegung durch den Anstieg der Infektionszahlen, die zweite Dezemberhälfte bis weit in den Januar war ein Totalausfall. Wir hatten den Hotelbetrieb nahezu eingestellt und nur mit einer telefonischen Bereitschaft und über E-Mail bzw. den Reservierungssystemen gearbeitet.“Das sollte auch sicherstellen, dass die strengen Auflagen, was die Umstände einer Übernachtung angeht, eingehalten werden konnten. Private Übernachtungen sind ja bekanntlich nahezu ausgeschlossen. Die Betreiber: „Wir hatten nur einzelne, größtenteils bekannte Firmengäste im Haus. Wir sind froh, dass die Novemberhilfe und der erste Abschlag der Dezemberhilfe dann angekommen sind. Trotzdem geht das natürlich nicht mehr lange gut. Doch wir sind zuversichtlich, dass wir vor dem Schlimmsten bewahrt bleiben.“ Foto: mk