Hagen. 60 Prozent der wahlberechtigten Jugendlichen in Hagen sind Nichtwähler. Das wollen sie ändern: Gandhi Chahine und Dirk Schubert.
Noch gut eine Woche bis zur Bundestagswahl, und knapp 60 Prozent der wahlberechtigten Jugendlichen in Hagen sind Nichtwähler. Das wollen sie ändern: Gandhi Chahine und Dirk Schubert. Zusammen mit Germain Bleich und Sarah Burkhardt unterstützen sie die Jugendlichen bei ihren Songs, denn sie sind Leiter des Projektes „Deine Stimme – Dein Moment“. Das Projekt findet in Hagen und Dortmund statt und soll Jugendliche dazu bewegen, zu wählen.
Zwischen 15 und 20 Jahre alt sind diejenigen, die an diesem Projekt teilnehmen, zum großen Teil dürfen sie noch gar nicht wählen oder sind Erstwähler. Die Jugendlichen entwickeln selber die Ideen und Texte für die Musikvideos und Beiträge auf Instagram. Die inhaltlichen Hintergründe liefert Gandhi Chahine in Wochenendkursen, in wöchentlichen Workshops wird der Inhalt dann kreativ umgesetzt.
Betroffenen berichten von Diktatur
Das Recht, wählen zu gehen, ist ein Privileg. Ein Recht, das über Jahrhunderte erkämpft wurde. Syrische Geflüchtete berichten von der politischen Situation in ihrem Herkunftsland und vergleichen diese mit der Situation in Deutschland: Freie Wahlen ohne Manipulation waren in Syrien nicht möglich. Wie wichtig die Grundgesetze sind, verdeutlichen sie. Sie berichten, wie es ist, in einer Schein-Demokratie oder einer Diktatur zu leben, und wie es ist, zu wählen, während eine Waffe auf einen gerichtet wird.
Jugendliche sind besonders frustriert
Wie wichtig Grundrechte sind, wird immer wieder deutlich: Afghanistan ist ein aktuelles Beispiel, freie Wahlen wie in Deutschland gibt es dort nicht. „Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit“, verdeutlicht Gandhi Chahine. „Demokratie und Grundrechte sind keine Naturgesetze.“ Der Blick auf die Geschichte ist ein wichtiger Punkt, um zu verstehen, wie privilegiert Wahlberechtigte sind und wie wichtig es ist zu wählen. Die Jugendlichen sollen verstehen, was für ein Kampf es war, an diese Rechte zu kommen. „Das Grundgesetz ist die Grundlage, darauf müssen wir aufbauen“, erklärt Jeremy, Assistent und Sohn von Gandhi Chahine.
Besonders junge Menschen haben das Gefühl, nicht gehört zu werden und vernachlässigt zu werden, Digitalisierung und Corona sind nur zwei Beispiele. „Ich dachte immer, Politik ist was für die Alten“, berichtet der 18-jährige Almir. Wie ihm geht es vielen anderen auch. 71 Prozent gaben in einer Studie an, dass sie das Gefühl haben, Politik interessiere sich nicht für sie.
Rappen über die Bedeutung der Wahl
Almir hatte das Gefühl, nicht gehört zu werden, heute rappt er mit anderen über die Bedeutung der Wahlen und animiert andere, sich zu engagieren. Jugendliche sollen wissen, worum es geht, das will Gandhi vermitteln. Er will die Jugendlichen sensibilisieren und sie darauf aufmerksam machen, dass sie etwas bewegen und etwas erreichen können.
Gandhi und Dirk engagieren sich seit 15 Jahren, sie wollen dafür sorgen, dass junge Menschen wählen gehen. Bei der Europawahl im Jahr 2019 wurden 30.000 Menschen durch die Videos auf YouTube und über Social Media erreicht. „Ich habe mich bei der Kommunalwahl nicht getraut zu wählen, ich dachte, Politik sei zu kompliziert“, erklärt Almir.
Grundrechte nutzen
Durch das Projekt „Deine Stimme – Dein Moment“ wurden viele Hagener Jugendliche erst an Politik geführt und sie fingen an, sich dafür zu interessieren. Sie lernten, dass sie auch etwas bewegen können, auch wenn sie nicht wählen gehen können, zum Beispiel durch Musikvideos im Internet. „Die Demokratie lebt von Demokraten. Anders funktioniert es nicht“, erklärt Gandhi. Sie leben die Werte, die sich vermitteln wollen: Jeder ist ein Mensch der gleich viel Wert ist. Akzeptanz steht im Vordergrund.
Es ist wichtig zu verstehen, dass man seine Privilegien nutzen muss. Warum man selber wählen gehen muss und nicht anderen die Entscheidung überlassen kann. Dass es keine Selbstverständlichkeit ist, wählen gehen zu können. Diese Botschaften tragen die Jugendlichen nach außen, Statements aus den Songs werden auch auf Instagram veröffentlicht. Ebenso entstehen Plakate, die verbreitet werden – sowohl analog als auch digital, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen.
Nicht zu vergessen ist für Gandhi zudem der Aspekt, wer überhaupt wählen darf. Denn mehr als zehn Millionen Bewohner Deutschlands sind von den Wahlen ausgeschlossen – hauptsächlich Menschen mit einem nicht deutschen Pass. Ihnen würde das Gefühl vermittelt, nicht Teil der Gesellschaft zu sein: „Demokratie lebt von dem Mitspracherecht.“ Partizipation spielt eine entscheidende Rolle, und Gandhi versucht, eben diesen Menschen eine Stimme zu geben.
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