Meschede. Ihre Mutter hatte ihr von den Toten erzählt. Nadja Thelen-Khoder forscht und stellt fest: Auf dem Franzosenfriedhof ruhen gar keine Franzosen.
Wenige Monate vor ihrem Tod erzählte die Mutter von Nadja Thelen-Khoder vom Langenbachtal. Dass sie ihrem Vater, dem Warsteiner Arzt Dr. Segin, oft geholfen habe, die Geschwüre der russischen Zwangsarbeiter zu behandeln, hatte sie schon oft erzählt, aber dass 71 von ihnen wenige Tage vor Kriegsende im Langenbachtal ermordet wurden, nicht. Eine Spurensuche und ein Vermächtnis, das Nadja Thelen-Khoder nun in einem Buch zusammengefasst hat.
Ohne Geburts- und Sterbedaten
Ein „Franzosenfriedhof“ ohne Franzosen, teils nicht mehr lesbare Grabsteine ohne Geburts- und Sterbedaten und vermooste, verwitterte und gebrochene Steine mit verharmlosenden Texten – das fand die Autorin den Mescheder Waldfriedhof vor, als sie sich im Herbst 2015 auf die Spurensuche begab.
Neben den namenlos Begrabenen der drei nächtlichen Massaker deutscher Soldaten am 20. März 1945 im Langenbachtal (Warstein), 21. März 1945 im Körtlinghausener Forst (Suttrop) und 22. März 1945 auf der Flur „Im Kramwinkel“ (Eversberg) künden 32 Grabsteine von 71 weiteren Zwangsarbeitern, die im Zweiten Weltkrieg oder wenige Wochen danach starben.
Liste mit Namen
Lange glaubte die Autorin, dass alle Unterlagen vernichtet worden seien – durch den Krieg, durch Unachtsamkeit, aus Not oder willentlich von Menschen, die daran ein Interesse hatten. „Aber je länger ich nach Namen suchte, desto mehr Listen begegneten mir: von Arbeitsämtern, Polizeidienststellen, Krankenhäusern in Meschede und Ramsbeck, Arbeitgebern, Krankenkassen, Bürgermeistern, vom Oberstaatsanwalt in Arnsberg, vom Städtischen Gesundheitsamt Meschede und und und. Durch sie und die Sterbeurkunden in den Stadtarchiven verwandelten sich Zahlen in Menschen aus Fleisch und Blut.“
3 500 000 Bürger der ehemaligen Sowjetunion sind in deutscher Gefangenschaft gestorben. „Niemand kann sich diese Zahl vorstellen. Aber durch den Grabstein von Valentina und Nina Woronina etwa rufen drei Menschen nach uns“, sagt Nadja Thelen-Khoder: Nina (21), ihre Tochter Valentina (10 Wochen) und ihr Mann Michail Woronin (22), der nach seiner Befreiung ins „Reserve Lazarett Warstein“ kam und dort an „Lungentuberkulose“ starb, wie all die anderen, für die auf dem Friedhof der LWL-Klinik auch eine Stele steht.
Und auch zu den Ermordeten der drei Massaker gibt es Papiere, Lohnabrechnungen und andere Gegenstände, wie nicht nur die Umbettungsprotokolle des „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ von 1964 im Stadtarchiv Warstein belegen.
Grundlage für Recherchen
Dieses Buch will Grundlage sein für weitere Recherchen vor Ort. „Wie schön wäre es, wenn z.B. Schüler im Geschichtsunterricht weiter nach Toten und Ermordeten suchen könnten, um ihnen ihre Würde wiederzugeben. Die Listen aus zig Lagern in und um Meschede und Warstein sind lang, und gemeinsam können wir noch so viel finden!“, hofft die Autorin und bietet ihre Hilfe an. „Ein paar Tips kann man immer gebrauchen!“, sagt sie. „Ich übrigens auch – immer!“
>>> Weitere Informationen
Drei Massaker, zwei Gedenksteine, eine „Gedenktafel“ und 32 Grabsteine. Dokumentation einer Spurensuche, Norderstedt 2018, ISBN: 9-783752-969712 (www.bod.de)
Dankbar ist die Autorin vor allem Peter Bürger, dass er ihr Buch in die „edition leutekirche sauerland“ als Nr. 14 aufgenommen hat.
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