Siegen. Mit „Mepyso“ wurde eine Forschungsgruppe an der Uni Siegen ins Leben gerufen, die sich sozialpolitisch engagieren will. Das wird untersucht.
Arbeitslos aufgrund von Krankheit oder krank aufgrund von Arbeitslosigkeit? Das ist eine der Fragestellungen, mit der sich die neue Forschungsgruppe „Mepyso“ an der Universität Siegen beschäftigt. Das Projektteam hat nun zum Austausch mit Praktikern aus der Region geladen.
Das Ziel
Die Forscherteam will herausfinden, welche Ursachen und Auswirkungen es hat, dass Ärzte soziale Probleme immer häufiger medizinisch oder psychologisch erklären. „Diese Entwicklung ist seit einigen Jahren zu beobachten“, sagt Projektleiterin Dr. Nadine Reibling.
Für das Forschungsprojekt haben sich Wissenschaftler verschiedener Fakultäten zusammengetan. Sie wollen mithilfe ihrer Erkenntnisse Handlungsempfehlungen an die Politik geben. Abschließend sollen 2020 die Ergebnisse unter anderem in Fachzeitschriften publiziert werden.
Das Problem
Unübliches Verhalten oder angespannte Lebenssituationen würden immer öfter als medizinisches Problem betrachtet, erklärt Reibling den Gästen. Ein Beispiel: Vor 20 Jahren sei das verhaltensauffällige Kind in der Schule der „Zappelphilipp“ gewesen.
Heute ist dieses Phänomen besser bekannt als ADHS-Syndrom. Dem Zappelphilipp habe man damals einen Sportverein nahegelegt. Dem Kind mit ADHS werde heute Ritalin verschrieben, erklärt die Expertin. Der Besuch beim Arzt und Medikamente würden als schnelle Problemlöser gesehen – während in der Vergangenheit simple Methoden Abhilfe schafften.
Ein weiteres Beispiel sei Burnout. Dabei handle es sich um eine psychosomatische Krankheit, die nicht erst seit diesem Jahrhundert existiert, erklärt Reibling. Schon früher habe es Menschen gegeben, die sich überarbeitet haben. Aber erst seit ein paar Jahren gibt es eine medizinische Diagnose und entsprechend eine medikamentöse Behandlung.
Die Ursachen
„Für diese Entwicklung gibt es verschiedene Gründe“, sagt Reibling. Heutzutage gebe es viel mehr anerkannte Diagnosen und Krankheitsbilder, die vor einigen Jahren nicht bekannt waren. Die Verbreitung von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen sei in den vergangenen Jahren enorm gestiegen.
Und damit auch die Zeit, in denen Berufstätige ausfallen würden. Das stehe auch im Zusammenhang mit dem höheren gesellschaftlichen Erwartungsdruck.
Wie relevant diese psychologische Thematik sei, zeige der Trend medizinisch fundierter Ratgeber-Literatur. „Diese Branche brummt seit geraumer Zeit“, sagt Reibling.
Die Förderung
Die deutsche Sozialpolitik sei angesichts der Entwicklung gefordert und müsse reagieren. Nicht zuletzt gehe es auch um Kosten für Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherungen. Grundsätzlich sei die Sozialpolitik des Staates als „sehr relevantes Thema und Ressource des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu betrachten“, ergänzt Laila Heitmann vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Das sei auch der Grund, weshalb das Ministerium mit Mepyso erstmals ein Nachwuchsforschungsprojekt fördert. Es gebe immer weniger sozialpolitisch engagierte Lehrstühle. Das könne, so die Befürchtung, dazu führen, dass es in zehn Jahren gänzlich an sozialpolitischer Forschung fehle. Deswegen seien entsprechende Strukturen an den Universitäten, wie sie nun in Siegen gefördert werden, unerlässlich.
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