Kolumne

Jasis Woche: Ein übler Fall von krimineller Niedertracht

| Lesedauer: 4 Minuten
Jacqueline Siepmann schreibt Jasis Woche.

Jacqueline Siepmann schreibt Jasis Woche.

Foto: Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

Ein schlimmer Unfall, die Tochter in einer Notlage, ein Anruf von der Polizei – die Geschichte klang echt. Doch am Telefon waren Kriminelle.

C. ist eine sehr patente, mitten im Leben stehende Frau Anfang 70 und eine enge Verwandte von mir. Noch immer geht sie einmal in der Woche arbeiten – weil es ihr nach wie vor Freude bereitet. Sie hat Krisen gemeistert und alleine eine Tochter großgezogen. Sie ist eine dieser Frauen, die man ohne zu zögern als tough bezeichnet. Jemand, dem man kein X vor dem U vormachen kann, wie man salopp so sagt. Eigentlich.

Doch als neulich nachmittags dieser Anruf kam, da war sie fassungslos. Wie gelähmt. Am anderen Ende der Leitung hörte sie ihre Tochter schluchzen, oder besser: meinte, sie zu hören. „Ich war überzeugt, dass das ihre Stimme war“, sagt sie im Nachhinein. Dann kam ein Mann ans Telefon, der sich als Polizeibeamter vorstellte. Es habe da einen Unfall gegeben, in den ihre Tochter verwickelt sei, sie habe mit ihrem Wagen eine Frau angefahren. Ihrer Tochter sei nichts passiert, doch die Frau sei tot, nun müsse die Tochter in Haft. Es sei denn, es würde eine Kaution gezahlt, dann bliebe sie auf freiem Fuß, doch das müsse nun sofort geschehen, erläuterte der Mann in amtlichem Ton.

Das eigene Kind, auch wenn es längst erwachsen ist, in einer doppelt verzweifelten Lage – als Verursacher eines entsetzlichen Unfalls mit tödlichen Folgen und mit einem Gefängnisaufenthalt vor Augen – das erschüttert wohl jede Mutter in ihren Grundfesten. Das setzt im Zweifelsfall aber auch jedes Misstrauen außer Kraft. „Ich stand komplett unter Schock. Ich hätte alles getan, um meiner Tochter zu helfen“, erinnert sich C. an den Vorfall, der nun zwei Wochen zurückliegt.

Der Schwiegersohn kam gerade rechtzeitig dazu

Eine Kaution in Höhe von 56.000 Euro könnte ihre Tochter vor dem Gefängnis bewahren. Deren Ehemann sei bereits tätig geworden, erklärte der vorgebliche Polizist, doch es stünde noch ein größerer Betrag aus. Mit welcher Summe sie wohl einspringen könnte, wollte er wissen. Sie könne ihre gesamten Ersparnisse bei der Sparkasse abheben, bot C. an. Die Summe, die sie nannte, schien den Mann am anderen Ende der Leitung allerdings nicht ganz zufriedenzustellen. Ob sie zu Hause noch Wertgegenstände aufbewahre? Schmuck, Goldbarren oder Ähnliches? Nein, so etwas besitze sie nicht. Dann solle sie jetzt mit dem Handy bei der Sparkasse anrufen und ankündigen, dass sie ihr Geld abholen wolle, aber keine Erklärung für den Grund abgeben, forderte er C. auf. Er bleibe währenddessen in der Leitung.

Nein, C. folgt normalerweise keinen Aufforderungen wie ein braves Hündchen, denen von Fremden schon mal gar nicht. In diesem Fall war sie bereit, es zu tun. „Ich hätte wirklich alles abgehoben, was ich hatte. Völliger Wahnsinn, aber ich war fast verrückt vor Sorge. Man denkt ja, dass man selbst nie auf sowas reinfällt. Aber man glaubt auch nicht, dass einem so viel Niedertracht begegnet.

Doch am Ende hatte C. Glück. Das erste Glück: Vor lauter Aufregung schaffte sie es nicht, ihr Handy zu entsperren. Ihr zweites Glück: In dem Moment klingelte es – ihr Schwiegersohn stand vor der Tür. Nicht wegen des Unfalls, der natürlich frei erfunden war, sondern weil er gerade spontan Zeit hatte für eine kleine Reparaturarbeit in der Wohnung. Reiner Zufall. Sofort berichtete C. von dem schockierenden Anruf. „Das ist ein Fake. Leg sofort auf“, riet der Schwiegersohn. Als C. wieder zum Hörer griff, war der falsche Polizist bereits weg. C. hat natürlich Anzeige erstattet. Jetzt liegt der Fall bei der echten Polizei – als einer von erschreckend vielen.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Wochenende